Es war absurd. Es war mehr als absurd. Cecilie seufzte, während sie aus dem Fenster die vorbeiziehende Landschaft betrachtet. Phileas war immer der Liebling der Familie gewesen. Derjenige, der dem Familiennamen Ehre machen würde, der sie nach außen hin präsentierte und dem eine prächtige Zukunft bestimmt war.
Das Beste, worauf sie hatte hoffen können, war irgendwann einmal einen Mann zu heiraten, der sie zumindest vernünftig behandelte. Mehr aber auch nicht.
Und jetzt war Phileas tot. Was hatte der Idiot sich dabei gedacht? Natürlich war Cecilie auch bestürzt und natürlich hatte sie getrauert, aber sie und ihr Bruder hatten sich nie allzu nahe gestanden, so dass sie diese Trauer auch schnell verwunden hatte.
Doch von einem auf den anderen Tag begann man sich plötzlich dafür zu interessieren, was sie eigentlich tat. Gestern waren ihre wichtigsten Sorgen noch gewesen, ob es gerade wieder Mode war, das Haar hoch aufgetürmt oder doch eher nach unten fallend zu tragen, welche Farbtöne diese Saison angesagt waren und welcher Schneider sie in diesen kleiden würde. Und heute sollte sie eine politische Karriere beginnen? Sie hatte doch überhaupt keine Ahnung, was sie dort erwartete und worauf es ankam. Doch es war der Wille ihres Vaters und wer war sie, ihm zu widersprechen? Er hatte gerade erst seinen liebsten - und einzigen - Sohn verloren. Eine aufständische Tochter war da das Letzte, was er gebrauchen konnte.
Es wurde alles arrangiert und Cecilie hatte keine Ahnung, nicht den blassesten Schimmer, welche Fäden ihr Vater gezogen und welche Hebel er in Gang gesetzt hatte, um letztendlich das möglich zu machen, zu dem sie sich letztendlich mit einem falschen Lächeln und einem Nicken einverstanden erklärte, so dass sie jetzt im Wagen ihres Chauffeurs saß und zu jenem Mann gefahren wurde, der sie auf die Politik vorbereiten sollte. Robert Duroc.
Und war das nicht das eigentlich absurde daran? Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ausgerechnet der Seneschall des Empire Outremer die Zeit hatte, sie zu unterrichten.
Irgendwie war sie auch neugierig. Man erzählte sich, dass er durchaus nicht zu schlecht anzuschauen war und geschickt, gerissen und intelligent war er obendrein, sonst wäre er wohl in seinem Alter noch nicht Seneschall. Wobei Cecilie eigentlich gar nicht wusste, wie alt Robert Duroc genau war. Aber sie stellte ihn sich eher jünger vor.
Doch wie würde es sein, mit ihm zu arbeiten? Ob er die nötige Geduld mit ihr haben würde?
Sie war nicht auf den Kopf gefallen und natürlich war sie auch gut unterrichtet worden, aber sie hatte in ihrem Leben noch nie direkt mit Politik oder Politikern zu tun gehabt und hatte eigentlich auch nicht geplant, das je zu tun, doch dann hatte ja alles anders kommen müssen.
Als der Wagen hielt und ihr die Tür geöffnet wurde, stieg sie auf und atmete tief durch. Zumindest soweit es das Korsett zuließ. Oh, wer sich diese Mode ausgedacht hatte, musste einen großen Hass auf Frauen hegen, oder falls es selbst gar eine Frau gewesen sein sollte, einen Hang zum Masochismus haben. Wer verzichtete freiwillig auf so etwas schönes und auch essentielles wie atmen?
Sie prüfte im spiegelnden Lack des Wagens, noch einmal ob ihre weiße Bluse mit den gerüschten Ärmeln und Kragen unter dem Korsett auch richtig saß und der aufwändig geraffte Rock von der Fahrt nicht allzu zerknittert war, dann wandte sie sich dem Gebäude zu und begab sich zum Empfang.
Dort wurde sie höflich empfangen und über das weitere Procedere aufgeklärt. Sie nahmen ihre Fingerabdrücke und wollten noch diverse Daten mit ihr abgleichen und auf ihre Richtigkeit prüfen. Während dieser ganzen Zeit hatte sie Robert Duroc noch nicht ein einziges Mal zu Gesicht bekommen, aber der Seneschall hatte wohl mit Sicherheit Wichtigeres zu tun, als sich um solche Formalien zu kümmern. Als dann endlich alles soweit fertig war, erklärte man ihr, dass Duroc sie nun empfangen würde und so wurde ihr der Weg zu seinem Büro gewiesen, wo sie, obgleich er sicher wusste, dass sie kam, noch einmal anklopfte und erst nach einer entsprechenden Aufforderung eintrat.
"Cecilie LaMotte"
stellte sie sich mit einem Lächeln und einem dezent angedeuteten, aber elegant und durchaus akribisch einstudierten Knicks vor.
Ihre Annahme Robert Duroc sei noch nicht allzu alt, hatte sich bewahrheitet, denn der junge Mann, der ihr hier gegenüberstand war wohl bei weitem noch keine vierzig. Und irgendwie gutaussehend war er wohl auch, aber darum war sie nicht hier.
"Ich soll hier wohl ein Praktikum absolvieren."
fügte sie hinzu und hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt. Wie dumm sie geklungen hatte, zumal er das doch längst wusste. Er hätte sie ja andernfalls überhaupt nicht empfangen. Und als reichte das nicht, hatte sie mit diesem einen Satz auch noch zu verstehen gegeben, dass es weder ihre Idee noch aus ihrem Antrieb heraus geschah, sondern einzig und allein ihres Vaters Wunsch entsprach. Was nicht bedeuten sollte, dass sie sich nicht bemühen würde. Den Familiennamen zu ehren, war eine Pflicht, der sie gewissenhaft nachkommen würde.