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Jean-Luc (Therese´s Privatsekretär) kamen nur wenige Besucher ungesehen vorbei. Außer er verließ seinen Posten - einen kleinen Schreibtisch in einer Nische am Ende des Ganges, von wo aus er mittles eines Spiegels stets die Bürotür seiner Chefin im Auge hatte - um einem dringendem Bedürfnis nachzugehen. Und dringende Bedürfnisse hatte Jean-Luc viele als da unter anderem zu nennen wären: die üblichen Stoffwechseltätigkeiten eben, die obligatorischen Morgens-/Mittags-/Nachmittagsnickerchen im Kopierer Raum, sowie das Nachstellen junger Praktikantinnen um ihnen (mit Hilfe des bereits erwähnten Spiegels) unter die …
… aber nicht so heute! Heute saß Jean-Luc auf seinem Posten und so bemerkte er sofort den altbekannten schrulligen Maler, dessen Termin er vorsätzlich seiner Chefin unterschlagen hatte. Nebenbei sei erwähnt, dass er und sie nicht gerade das beste Verhältnis miteinander hatten (natürlich rein dienstlich) und es ihm deshalb ein regelmäßiges Bedürfnis war, sie in irgendeiner Form zu triezen. Die Retourkutsche erhielt er meistens sofort, manchmal auch erst später, doch heute war der Überraschungseffekt eindeutig auf seiner Seite.
Mit dem Lächeln eines Siegers auf den Lippen wuselte der kleine Sekretär sofort los, um Monsieur du Lac mit einer tiefen Verbeugung zu begrüßen und ihm zuvorkommend die Türe aufzuhalten:
""Monsieur du Lac, wenn ich bitten darf, Sie werden schon erwartet"". Mit einer geschickten Drehung und in gebückter Haltung schoss Jean-Luc vor dem Maler in den Raum und brachte seine Chefin - wie so oft - zur Weißglut, indem er ihren Namen und Titel absichtlich verunstaltete:
"Verzeihung Duchesselein … aber Monsieur du Lac wäre jetzt hier, … wegen dem Bild … Sie entschuldigen mich, ich müsste dann mal wieder."
sprachs und dirigierte du Lac mit wedelnden Armen auch schon mitten ins Büro, aus welchem er sich flink wie ein Wiesel sofort wieder zurück zog, noch ehe Therese recht begriff wie ihr geschah:
"Wer? …was für ein Bild … hatte ich einen Termin`…..Jean-Luc …JEAN-LUC!"
Irritiert starrte Therese kurz zu der Türe, hinter der ihr Sekretär verschwunden war und sie hatte wenig Hoffnung, dass er auf ihr Rufen hin reagieren würde. Also wanderte ihr Blick zu dem Gast, der in der Tat nicht zu übersehen war. Diese Perücke, das augenscheinlich gepuderte Gesicht, dazu der Stock und die Kleidung.
<Du meine Güte … ach ja, der Maler … von dem man hier so viel erzählt und dessen Bilder hier überall herum hängen. … von allen Abgeordneten … oh je, ich glaub mir schwant etwas …>
Therese schluckte ihre Verwunderung und ihre Wut auf Jean-Luc gedanklich hinunter und versuchte stattdessen professionell, freundlich und zuvorkommend zu wirken:
"Ach ja, Monsieur du Lac, der Maler, richtig? … Bitte verzeihen Sie, dass ich nicht sofort reagiert habe."
Mit diesen Worten stand Therese hinter ihrem Schreibtisch auf, ein freundliches und offenen Lächeln auf den Lippen, um ihren Gast gebührend zu begrüßen, indem sie ausnahmsweise die veraltete Anrede verwendete.
"Darf ich Sie so nennen? Aber bitte, wollen wir uns nicht setzen? Möchten Sie etwas trinken? … Es ist mir im übrigen eine große Freude und Ehre Sie endlich einmal persönlich kennen zu lernen. Ihre Bilder konnte ich ja bereits hier überall bewundern. …"
Bewundern oder wundern, denn manche Portraits wirkten doch sehr "seltsam" ohne genau sagen zu können woran es lag.