Gespannt und aufmerksam hörte er Therese zu. Nicht, weil die Geschichte sonderlich spannend war, sondern weil er kein Detail verpassen wollte. Jeder kleine Hinweis könnte jetzt entscheidend sein. Und vor allem war die wesentlichste Information auch direkt präsentiert worden. Er wusste, wann du Lac wieder im Parlament sein würde.
Als Therese das erzählte, was sie sagen konnte, legte er die Fingerspitzen aneinander, führte sie an die Stirn und schloss die Augen. Er versuchte, tief durchzuatmen und sich zu konzentrieren, Wesentliches von Unwesentlichem zu trennen und sich nicht von seinen Emotionen überwältigen zu lassen. Das war eine Übung, die er noch nie meistern konnte, so sehr er sich auch anstrengte.
<Woher hatte Marat das Tuch? Warum hat er es Therese geben lassen? Und warum über du Lac?>
Mit einem dicken Kloß im Hals öffnete er die Augen wieder. Die Puzzleteile fügten sich zusammen. Es schien du Lac keine Schuld zu treffen.
Ganz langsam versuchte er, seine Gedanken zu sortieren. Mehr zu sich selbst als zu Therese sagte er:
"Dieser Mann in der Galerie... Marat... bei der Vernissage... er... er kam mir.... so bekannt vor. Aber... nein... das ist unmöglich..."
An dem Abend war er selbst verkleidet gewesen. Durch den Zoff mit Therese hatte er schon fast vergessen, was davor passiert war. Doch jetzt kamen die Bilder wieder. Der alte, gebrechliche Kunst- und Glaskenner, der erstaunlich stark für sein Aussehen war... Der Mann, der mit einer Scherbe in der Hand vor der Prinzessin stand, ohne dass ihre Gorillas reagiert hatten...
"Der Mann, der mir außer Landes half..."
Mit leerem Blick flüsterte er diese Erkenntnis in Richtung eines Punktes über Thereses linkem Ohr, ehe er ins Hier und Jetzt zurückkehrte.
"Therese... Ich muss diesen Marat finden. Ich muss diesen du Lac treffen. Ich werde nächste Woche in deinem Büro sein, wenn er ankommt - und du darfst ihn nicht vorwarnen."
So viel Überwindung ihn das auch kostete, aber er sah sich das Leichentuch noch einmal an. Die luftdichte und lichtundurchlässige Verpackung war ohnehin schon geöffnet und der Geruch von Tod und dem Präparat, das Bestatter hierzulande verwendeten stieg ihm in die Nase. Er betastete es vorsichtig, ehe er etwas fühlte, was dort nicht hin gehörte. Hektisch faltete er das Tuch unsauber auseinander, ehe er es fand: In das Tuch eingenäht waren ein Stück Haut - offenbar eine Fingerkuppe - und ein winzigkleines Messer, an dem noch getrocknetes Blut klebte... ihr Blut...
Wenn zuvor ein wenig Farbe in Thierrys Gesicht zurückkehrte, so war sie nun vollends verschwunden. Er ignorierte den Kellner, der ihnen den Wein anpries und Therese darum bat, einen Schluck zu kosten, um festzustellen, ob die Qualität den Herrschaften denn auch genehm war. Er ignorierte die starrenden Blicke rund um ihn herum. Er ignorierte sogar Therese - und in ihm kochte plötzlich Zorn hoch.
Der Mann, der ihm außer Landes half, hatte offenbar die ganze Zeit über den Beweis für seine Unschuld in seinem Besitz. Der Mann, dem er vertraute und viel zu viel Geld für sein Leben zahlte, hätte ihn ohne weiteres davor bewahren können, mit allem, was er kannte, brechen zu müssen. Er verstand nicht, was für ein Spiel hier gespielt wurde. Er verstand nicht, warum er genau jetzt, als er gerade wieder Boden unter den Füßen gewonnen hatte, dieses makabere Präsent bekommen würde oder warum man Therese hier mit hineinzog.
Und so sagte er das einzige, was ihm in den Sinn kam, während die Wut in ihm hochstieg.
"Duroc..."
Jetzt hatte er ihn, er war sich sicher. Mit dieser Beweislage würde er ganz sicher gehen, dass der wahre Mörder gefasst wird. Der oberste Richter Depont, der ihn seinerzeit zum Tode verurteilt hatte, würde gar nicht anders können, als sämtliche Zweifel zu beseitigen und den wahren Täter zu verurteilen. Und er war sich sicher, dass es Duroc war. Ja, er wünschte es sich sogar.
Doch dann fiel ihm wieder ein, wo er war und mit wem er hier war. Fein säuberlich legte er das Tuch wieder zusammen und schloss die Mappe. Er musste Therese an seinen Gedanken teilhaben lassen, doch fiel es ihm schwer, diese zu verbalisieren.
"Therese... Das... das... das ist ein Geschenk. Das ist meine Lebensversicherung. Ich verstehe so vieles nicht, aber... ich muss Marat finden. Und dann muss ich... ihm... ihm... danken."
<...nachdem er mir einige Fragen beantwortet hat...>
Ein irres Lächeln flackerte im Gesicht des Senators.